Ich erhielt mein kleines Sehvermögen durch viele Operationen in Rom. Von 1970 – 1985 lebte ich in der Dunkelheit. Im Oktober 1981 sollte die entscheidende Augenoperation durchgeführt werden. Am Abend vor der Operation trafen wir mit einem deutschen Patenten zusammen. Er meinte so ganz beiläufig, dass dieser Eingriff noch nicht die Hauptoperation ist. Erst muss der Zahn unter dem Auge eingebettet werden. Die Enttäuschung war riesig, ich wollte nicht mehr, ich wollte einfach nur mehr nach Hause. Ich konnte die Situation einfach nicht verstehen!
An diesem Abend besuchte mich Schwester Norbertine – eine deutschsprachige Klosterschwester – und versuchte mich zu trösten. Sie setzte sich zu mir ans Bett, nahm meine Hand und erzählte mir folgende Geschichte.
Mir ist vollkommen klar, dass Du augenblicklich sehr traurig bist, aber du wirst den Sinn meiner Geschichte erst viel später verstehen!
Stell dir eine große Wiese vor, am Wegrand steht ein blühender Rosenstrauch, im Hintergrund unter einem Baum guckt ein kleines Vergissmeinnicht hervor. Die Sonne scheint für alle Blumen und das Vergissmeinnicht streckt sein Köpfchen den Sonnenstrahlen entgegen. Die Spaziergänger sehen am Wegesrand nur den blühenden Rosenstrauch. Schon bald ist diese Blütenpracht Vergangenheit und erst jetzt können die Spaziergänger die Schönheit des Vergissmeinnichts erkennen!
Sr. Norbertine fuhr mit ihrer Erzählung fort: Andrea, du weißt heute noch nicht, warum dein Lebensweg so beschwerlich und auch schmerzhaft ist? Es wird aber auch für dich der Tag kommen, wo du dein Leben mit dem Dasein des Vergissmeinnichts vergleichen kannst. Du wirst verstehen, warum du das ALLES durch machen musstest. Es wird auch für dich der Tag kommen, für den es sich zu leben und zu kämpfen gelohnt hat!!!
Nach 22 Jahren stelle ich mir nun die Frage, ist jetzt diese Zeit für mich gekommen???
Mit lieben Grüßen Andrea