Mein Schwesterherz Gaby
Gaby wurde am 19.März 1961 geboren. Sie war in unserer Familie der erste Nachwuchs. Leider kam Gaby mit einem Hüftproblem zur Welt. Sie bekam 9 Monate eine Gipsschale verpasst. Mama setzte alles daran, ihrem Töchterchen das Leben zu erleichtern. Gaby konnte sich mit diesem Verband überhaupt nicht bewegen. Nachdem diese anstrengende Zeit endlich vorüber war, holte sie rasch das Versäumte nach. Bald war nichts mehr sicher vor diesem kleinen Mädchen.

Nach einem Jahr durfte sie sich mit ihrem Brüderchen Franz anfreunden. Nun stand sie gar nicht mehr im Mittelpunkt. Mama erzählte oft, dass Gaby auf ihren kleinen Bruder stolz war. Mama wusste oft nicht, was sie zuerst erledigen sollte. Gerade bei so einem Hausbau lauern an allen Ecken und Enden ungeahnte Gefahren für so kleine Kinder. Wir wurden oft mit der Gehschule hinaus vor die Türe gestellt. Somit konnte uns wenigstens nichts geschehen. 1963 kam ich als Jüngste in die Runde. Jetzt kam Leben ins Haus. Gaby übernahm schon sehr früh Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister.

Oma war recht aktiv und nahm sich eher selten Zeit für uns. Mama wurde durch sie so gut wie nie entlastet. Man lernt eben, sich im Leben den Dingen so gut als möglich an zu passen. Für uns Kinder gab es damals noch keinen Kindergarten. Wir durften unsere Erfahrungen in der Natur sammeln. Uns wurden schon sehr früh kleine Aufgaben übertragen. So holten wir täglich von unserem Nachbarn die Milch. Für uns war das selbstverständlich. Für den Winter sammelten wir "Bockerl" zum anheizen. Gaby half schon früh in der Küche mit. Als meine Erkrankung auftrat, übernahm sie die Rolle von Mama.

Sie kochte bereits mit 11 Jahren für Papa und Franz. Da gab es so eine lustige Geschichte. Als ich wieder einmal mit Mama in Rom im Krankenhaus war, wollte Gaby für Papa und Bruder Erdäpfelnudel kochen. Sie nahm einfach viel zu viele Kartoffel und mit dieser Masse hätte sie eine halbe Kompanie versorgen können. Das Essen war ihr jedenfalls gut gelungen.

Mit meiner Erkrankung 1970 änderte sich vieles in unserer Familie. Mama musste ihre Arbeitsstelle wieder aufgeben und bei mir daheim bleiben. Papa fuhr oft 3x die Woche mit mir ins Krankenhaus nach Wien. Meine Geschwister waren oft viele Stunden alleine Zuhause. Von ihnen wurde bereits sehr früh verlangt, dass sie diese Situation verstehen. Ich kam mir häufig schäbig vor. Manchmal plagte mich das Gefühl, ich würde die Eltern meinen Geschwistern wegnehmen.

Gaby und Franzi hatten es in der Pflichtschule absolut nicht leicht. Beide besuchten den B-Zug. Gaby war sich sicher, sie würde Krankenschwester lernen. Ihre Klassenvorständin erklärte meinen Eltern sie mögen diesen Wunsch respektieren und Gaby an ihrem Vorhaben nicht hindern. Also ging sie auch mit 15 Jahren aus dem Haus und kam nur an den Wochenenden heim. Gaby schaffte die Aufnahmeprüfung in der Schwesternschule im AKH und sie erreichte ihr Ziel und machte das Diplom. Sie hatte es sich ganz schwer verdient. Gaby lernte die Nächte an den Wochenenden durch und schlief über den Skripten ein. Das Diplom war für Gaby ein wichtiger Stein in ihrem Leben. Sie hatte gezeigt, dass man mit Willenskraftgesetzte Ziele erreichen kann.

Gaby machte den Führerschein und dann ging es an den Wochenenden mit ihr zu den diversen Festen. Unsere damalige Musik war das Schäfferner Sextett und die Trenker Buam. Zu dieser Musik tanzten wir die Nächte durch. Gaby hatte kein Problem mit mir zu den Unterhaltungen zu gehen. Sie konnte mich so akzeptieren wie ich nun mal war. Mama hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, wenn wir am Wochenende ausgingen, wartete sie bis wir heimkamen. Sie wechselte immer noch einige Sätze mit uns. So konnte sie genau sehen, ob wir eventuell zu viel Alkohol getrunken oder geraucht hätten. Ausserdem machte sie sich immer ein Bild, ob es uns gefallen hat oder nicht. Ohne das wir es bemerkten, konnte sie aus unseren kurzen Gesprächen herausfiltern, ob wir in angenehmer Gesellschaft waren. Ich persönlich empfand das als absolut in Ordnung.

Gaby hatte 1980 einen schweren Unfall. Sie verbrannte sich - in ihrer kleinen Schwesternwohnung in Wien - mit überhitzten Öl den rechten Unterarm. Ausgerechnet an diesem Tag hatte sie eine schwarze Nikiweste an. Der Stoff brannte sich tief in ihre Haut und das Fleisch ein. Sie musste sich einigen Operationen unterziehen. Weiters trug sie für 6 Monate einen ganz engen Handschuh auf der verletzten Hand. Sie weinte beim Anziehen vor Schmerzen. Der Heilungsprozess dauerte einige Monate. Die Narben blieben und erinnerten sie ständig an diesen Vorfall.

Gaby war nach Neunkirchen gezogen und arbeitete im örtlichen Krankenhaus. An den Wochenenden gingen wir oft zum Tanzen aus. Da lief ihr doch eines Nachts ihr späterer Mann Karl über den Weg. Ich werde es nie vergessen, wie sie mir von ihrer neuen Bekanntschaft erzählte. Sie hatte da einen jungen Mann mit blonden Haaren kennengelernt. Er konnte gut tanzen und sie würden sich wieder treffen. Ich freute mich für mein großes Schwesterherz.

Nach der nächsten Begegnung mit Karl war sie echt enttäuscht. Er hatte rotes Haar und war sehr jung. Dann ging alles relativ schnell. Karl arbeitete in einer Keksfabrik. Seinen Beruf als Bäcker konnte er wegen der heftigen Allergie nicht ausüben. Karl bekam in Wien beim Bundesheer eine Stellung und Gaby zog wieder nach Wien. Nun bezog sie im Hanuschkrankenhaus eine kleine Dienstwohnung und wanderte durch die Abteilungen. 1984 kam Töchterchen Jasmin zur Welt. Sie kam zwei Wochen früher als der Geburtstermin errechnet war. Leider konnte Karl bei der Geburt nicht dabei sein. Gaby traf diese Tatsache recht hart. Sie hatte sich auf eine gemeinsame Entbindung eingestellt und nun war sie ganz alleine. Jasmin wog gerade mal 2,65kg und wirkte sehr zerbrechlich.

Die Dienstwohnung war für Gaby und Jasmin ziemlich eng. So schaute sich mein Schwesterherz um eine größere Wohnung um. Diese Angelegenheit konnte auch positiv erledigt werden. Papa half beim Übersiedeln. Er tat das auch die beiden male zuvor. Nun hatte meine Schwester endlich mal ne größere Wohnung. Es war ein Altbau und lag im dritten Stock ohne Aufzug. Jasmin bekam ein eigenes Kinderzimmer. Da hatte Gaby stets viel hinauf zu tragen. Leider wurde ihr der versperrte Kinderwagen im Parterre gestohlen. Gaby konnte sich keinen so tollen Kinderwagen mehr leisten. Karl war Zeitsoldat und beschloss nebenbei eine Ausbildung zum Radio-und Fernsehmechaniker zu machen. Nach dem erfolgreichen Abschluss begann er noch eine Weiterbildung per Abendschule. An Gaby blieb viel Arbeit hängen. Jasmin sah ihren Vater sehr wenig. An den Wochenenden musste Karl stets lernen. Gaby verzichtete auf Vieles und wirkte irgendwie nicht mehr so glücklich.

1989 heirateten die beiden und Karl nahm unseren Namen an. In der Beziehung änderte sich nicht viel. Es gab keine gemeinsamen Freunde und sie unternahmen wenig miteinander. Immer fehlte es an der nötigen Zeit. 1990 kam Gaby auf die Augenambulanz des Hanuschkrankenhauses. Später in den OP. Sie liebte die Arbeit mit den Patienten. Für sie stand der Patient immer auf oberster Stufe. Als Tochter Jasmin schon größer war, ließ sich meine Schwester in den HNO OP versetzen und ging ins "Radl". Nun hatte sie auch Wochenend-und Nachtdienste zu leisten.

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